A. Fahrzeug als Tatmittel: Warum ein geführtes Auto nicht als gefährliches Werkzeug gilt (BGH Urteil vom 22.06.2023 – 4 StR 481/22 in BeckRS 2023, 17514)
Im vorliegenden Urteil beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob es sich bei einem geführten Fahrzeug um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Alt. 2 StGB handelt.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Zwei Täter planten ein zuvor geklautes Fahrzeug für einen Überfall auf ein Juweliergeschäft zu nutzen. Sie fuhren mit diesem in die Fußgängerzone der Stadt K und lenkten das Fahrzeug auf das Schaufenster des Juweliers zu, um es zu zerstören und an die Ware zu gelangen. Die Schaufensterscheibe hielt dem Aufprall stand und die Täter gelangten nicht an die Ware. Sie beschlossen daraufhin mit dem Fahrzeug zu fliehen.
II. Leitsatz (redaktionell bearbeitet)
Die Bestimmung, ob ein Gegenstand gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Alt. 2 StGB als gefährlich anzusehen ist, erfolgt ausschließlich anhand objektiver Kriterien. Es gibt keinen Spielraum für ein zusätzliches subjektives Element zur Festlegung dieses Merkmals des Tatbestands.
III. Lösung
Es handelt sich bei dem eingesetzten Fahrzeug um kein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Alt. 2 StGB.
Die Bestimmung, ob ein Gegenstand gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Alt. 2 StGB als gefährlich einzustufen ist, erfolgt ausschließlich anhand objektiver Kriterien. Ein zusätzliches subjektives Element zur Eingrenzung dieses Merkmals ist nicht vorgesehen. Dies liegt unter anderem daran, dass manche Werkzeuge ihre Gefährlichkeit erst durch die ihnen in der konkreten Situation zugedachte Zwecksetzung erhalten (siehe § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB).
Die Bewertung eines Werkzeuges als gefährlich hängt maßgeblich davon ab, ob von dem entsprechenden Gegenstand eine abstrakte Gefahr ausgeht, die einer Waffe im technischen Sinne nahekommt. Bei einer Waffe wird allein die Mitführung bei der Tat als latent gefährlich angesehen. Objektiv gefährliche Werkzeuge behalten ihre Eigenschaft als gefährlich selbst dann bei, wenn der Täter sie allein zum Zweck des Aufbruchs oder Aufsprengens eines Behältnisses etc. verwenden möchte.
Vorliegend erfüllt das von den Tätern verwendete Kraftfahrzeug, nach ihrer Vorstellung von der Tat, nicht die Kriterien eines gefährlichen Werkzeugs gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) Alt. 2 StGB. Ein Kraftfahrzeug ist objektiv betrachtet kein Gegenstand, der dazu bestimmt ist, eine Kraft gegen ein anderes Objekt zu entfalten oder zu verstärken, im Gegensatz zu alltäglichen Werkzeugen wie einem Hammer oder Schraubendreher. Obwohl ein Kraftfahrzeug unter Missbrauch seines eigentlichen Zwecks als Fortbewegungsmittel zur Zerstörung von Sachen oder zur Verletzung von Menschen verwendet werden kann, ändert dies nichts an der Tatsache, dass es sich dabei um kein gefährliches Werkzeug handelt.
B. Schraubendreher als gefährliches Werkzeug (BGH Urteil vom 22.06.2023 – 5 StR 67/23 in NStZ 2023, 733)
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Die Täter suchten nachts einen Imbiss auf, in dem G Reinigungsarbeiten verrichtete. Einer der Täter, A, hielt in seiner Hand einen handelsüblichen Schraubendreher, den er mitgebracht hatte, um den sich im Imbiss stehenden Spielautomaten aufzubrechen.
A näherte sich auf bedrohliche Weise dem G und forderte ihn lautstark auf, ihm Bargeld aus der offenen Kasse zu übergeben. Dabei hielt A den Schraubendreher, deutlich erkennbar für G, in seiner Hand. A war bewusst, dass er gegebenenfalls den Widerstand von G mit dem Schraubendreher als Drohwerkzeug oder gegen den Körper des G überwinden konnte. G übergab dem A aus Angst mindestens 150 EUR in kleinen Scheinen. Anschließend brach A einen Spielautomaten mit dem Schraubendreher auf und entnahm eine mit einem Schloss gesicherte Geldkassette, um das darin befindliche Geld für sich zu behalten. Aufgrund eines Alarms wurde ein Polizeibeamter auf die Situation aufmerksam, der den Angeklagten schließlich überwältigen konnte.
II. Leitsätze
Bei einem Schraubendreher handelt es sich grundsätzlich um ein gefährliches Werkzeug iSd §§ 244, 250 StGB
Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens iSd § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Im Fall der Drohung muss das Tatopfer das Nötigungsmittel und die Androhung seines Einsatzes wahrnehmen
Zum Begriff des Bei-sich-Führens genügt es, dass sich das mitgebrachte Werkzeug für den Täter in Griffweite befand oder er sich seiner jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen konnte
III. Lösung
1. Geschehen an der Kasse
Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens gem. § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Das Nötigungsmittel muss zur Verwirklichung des Raubtatbestands eingesetzt werden. Dies ist der Fall, wenn der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug als Mittel zur Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder zur Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben verwendet, um die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache zu ermöglichen oder eine andere Person zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zuzufügen. Ein Schraubendreher stellt grundsätzlich ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar, da er nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.
Im Fall der Drohung muss der Genötigte das Nötigungsmittel wahrnehmen und dadurch in eine Zwangslage geraten. Vorliegend hat A den Schraubendreher bei seiner Drohung gegenüber G im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB verwendet. Er unterstrich seine verbale Drohung, indem er das Werkzeug gut sichtbar in der Hand hielt, und sich bewusst war, dass G dies wahrnahm. Es war nicht erforderlich, dass A zusätzlich Hieb- oder Stichbewegungen in Richtung des Bedrohten machte oder verbal ankündigte.
2. Geschehen bzgl. des Spielautomaten
Indem A mit dem Schraubendreher den Spielautomaten aufhebelte, verwendete er ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Der Schraubendreher stellt auch nach dieser Norm ein gefährliches Werkzeug dar. Seine objektive Gefährlichkeit durch die Verwendung als Aufbruchswerkzeug wird nicht reduziert. Die mit dem Beisichführen verbundene Gefahr des Gebrauchs des Schraubendrehers genügt bereits gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Dies gilt unabhängig davon, dass A zuvor die Eignung des Schraubendrehers als „Waffenersatz" durch dessen Verwendung als Drohmittel illustriert hatte. A hat den Schraubendreher während des Diebstahls bei sich geführt, da er jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand zugänglich war und während des gesamten Geschehens am Tatort verblieb.
C. Abgrenzung mittelbarer Täterschaft und Anstiftung (BGH Urteil vom 13.09.2023 – 5 StR 200/23 in NJW 2024, 604)
I. Sachverhalt (vereinfacht)
M, Mutter des 11-jährigen T, lebte aus Angst vor ihrem Ehemann in einem Frauenhaus. A, Bruder des Ehemanns, forderte T auf M zu töten. „Er solle abends, wenn die Mutter im Bett liege und schlafe, ein scharfes Messer aus der Küche holen und sie töten“. Dafür zeigte er ihm eine Videoaufnahme, auf der ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgabe machte A nicht. T sollte die Tat „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen“. A erklärte dem T zudem, dass er nicht bestraft werden könne, da er noch jung sei. A hingegen könne eine Strafe bekommen und müsste dann ins Gefängnis. T sollte für die Tat Süßigkeiten, die Rückgabe von weggenommenen Spielsachen und den Kauf eines Motorrades bekommen. T ging darauf zum Schein ein, weil er Angst hatte, ansonsten seine Mutter nicht wiedersehen zu dürfen. Da M das Frauenhaus mit unbekanntem Aufenthalt verlassen hatte, scheiterte das Vorhaben. T erzählte der M später von dem Plan.
II. Leitsatz (redaktionell bearbeitet)
Das Veranlassen der Tat eines Kindes ist nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist im Einzelfall durch wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens zu ermitteln.
III. Lösung
Grundsätzlich handelt in mittelbarer Täterschaft, wer die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft innehat, das Geschehen also mit steuerndem Willen in den Händen hält
Der 5. Strafsenat ist der Auffassung, dass das Veranlassen der Tat eines Kindes nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist im Einzelfall durch wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens zu ermitteln.
Es ist entscheidend, ob das Kind fähig ist, das Unrecht der Tat zu erkennen und danach zu handeln. Ein Defizit in dieser Hinsicht deutet auf die Steuerungsmacht und damit die Tatherrschaft des Veranlassenden hin.
Der Senat führt weiter aus: Wortlaut und Systematik der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen lassen die Anstiftung Schuldunfähiger zu. Die Regelung des § 26 StGB setzt lediglich eine vorsätzliche rechtswidrige, nicht aber eine schuldhafte Haupttat voraus („limitierte Akzessorietät“).
Im vorliegenden Fall kam dem A keine Tatherrschaft über den Tatablauf zu. Er zweifelte nicht an der Einsichtsfähigkeit des T in das Unrecht der Tat und machte sich kein Reifedefizit des Kindes zunutze. Stattdessen offenbarte er das Unrecht seines Ansinnens und überließ die Wahl des Tatzeitpunkts und die Ausführung T. Die Tat sollte an einem für den Angeklagten unbekannten Ort begangen werden, an dem er keinen Einfluss ausüben konnte. Somit hatte der A keine bestimmende Rolle in der Tatbegehung.