Baurecht Bayern

Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Baugenehmigung

B. Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Baugenehmigung

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Beliebte Klausurkonstellation ist weiterhin, dass sich ein Dritter (Nachbar) gegen die an den Bauherren erteilte Baugenehmigung zur Wehr setzen möchte und deshalb im Wege der Anfechtungsklage gegen diese vorgeht.

Hinweis

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Wird vor Erlass der Baugenehmigung ein Vorbescheid, Art. 71 BayBO mit durchgeführter Nachbarbeteiligung erlassen, so hat der Nachbar, wenn der Bauvorbescheid Feststellungen zu nachbarschützenden Vorschriften enthält, sowohl den Bauvorbescheid als auch die nachfolgende Baugenehmigung anzufechten. Wird der dem Nachbarn zugestellte Bauvorbescheid bestandskräftig, ist der Nachbar gegen die Baugenehmigung mit seinen potentiellen Einwendungen, die bereits im Vorbescheid beurteilt wurden (Prüfumfang!) ausgeschlossen. Unterlässt der Nachbar die Anfechtung der nachfolgenden Baugenehmigung und wird diese ihm gegenüber bestandskräftig, dann entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen den Vorbescheid, weil durch dessen Aufhebung die Rechtsstellung des Nachbarn nicht verbessert werden kann.

Decker in Simon/Busse BayBO Art. 71 Rn. 150; BayVGH, U. v. 14.7.2006, BayVBl. 2007, 334.

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Anfechtungsklage des Dritten gegen die Baugenehmigung

A.

Entscheidungskompetenz des Gerichts

 

 

I.

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO

 

 

II.

Sachliche und örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO

 

B.

Zulässigkeit der Klage

 

 

I.

Statthaftigkeit

 

 

II.

Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO

 

 

 

1.

Geltendmachung einer nachbarschützenden Norm

 

 

 

2.

Kein Verlust der Klagebefugnis durch Zustimmung

 

 

 

 

 

Widerruf der Zustimmung, vgl.

Rn. 433

 

III.

Erforderlichkeit eines ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführten Vorverfahrens

 

 

IV.

Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO

 

 

V.

Partei- und Prozessfähigkeit

 

 

VI.

Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

 

C.

Begründetheit

 

 

I.

Passivlegitimation, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO

 

 

II.

Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

 

 

 

1.

Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

 

 

 

 

a)

Nachbarbeteiligung

 

 

 

 

b)

Schriftform

 

 

 

2.

Materielle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

 

 

III.

Rechtsverletzung des Klägers

 

417

Die Klage hat Erfolg, wenn das angerufene Gericht entscheidungskompetent ist und die Klage zulässig und begründet ist.

I. Entscheidungskompetenz des Gerichts

418

Entsprechend den obigen Ausführungen

vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 399. ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ergibt sich nach §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AGVwGO.

II. Zulässigkeit der Klage

419

Die Klage ist zulässig, wenn alle erforderlichen Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind.

1. Statthaftigkeit

420

Die Statthaftigkeit richtet sich wiederum gemäß §§ 86, 88 VwGO nach dem klägerischen Begehren. Dieser will gegen die Baugenehmigung, einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG, vorgehen. Statthaft ist deshalb die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.

2. Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO

421

Der Nachbar ist im Gegensatz zum Bauherren nicht Erklärungsadressat der Baugenehmigung. Auch sofern ihm eine Ausfertigung der Baugenehmigung nach Art. 66 Abs. 1 S. 4 BayBO zuzustellen ist, wird er nicht zum Adressaten der Regelungswirkung der Baugenehmigung, sondern ist lediglich Zustellungsadressat. Insoweit kann beim Nachbarn nicht auf die Adressatenstellung abgestellt werden.

a) Geltendmachung einer drittschützenden Norm

422

Als Nichtadressat ist die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten durch die Baugenehmigung erforderlich.

aa) Allgemeines zum Nachbarschutz im Baurecht

(1) Qualifikation einer Rechtsnorm als nachbarschützend

423

Die Baugenehmigung muss mit anderen Worten möglicherweise nachbarschützende Normen verletzen.

Definition

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Definition: Drittschutz

Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, sondern (auch) dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises dient.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 580 ff.

Wann eine Rechtsnorm Drittschutz bzw. Nachbarschutz verleiht, muss durch Auslegung, vorrangig anhand des Wortlauts sowie Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte der Norm, ermittelt werden; soweit der Wortlaut dabei keine eindeutige Entscheidung zulässt, ist insbesondere der Wille des Normgebers entscheidend.

Subsidiär kann dabei auch auf das so genannte Gebot der Rücksichtnahme abgestellt werden, das im Einzelfall Nachbarschutz vermitteln kann. Insoweit ist aber im Baurecht die Besonderheit zu beachten, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass das Gebot der Rücksichtnahme ausschließlich dann nachbarschützende Wirkung entfaltet, wenn es in bestimmten Rechtsnormen zum Ausdruck gelangt.

Beispiel

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§ 31 Abs. 2 BauGB stellt nach seinem Wortlaut das Erfordernis der Würdigung nachbarlicher Interessen auf; nach seinem Wortlaut handelt es sich deshalb bei § 31 Abs. 2 BauGB um eine Vorschrift, die dem Grunde nach Nachbarschutz vermitteln kann.
Die Gemeinde G nimmt in ihren Bebauungsplan eine Festsetzung auf, wonach lediglich eine eingeschossige Bebauung zulässig ist. Nach der Planbegründung soll damit eine ausreichende Belüftung und Belichtung der Nachbargrundstücke gewährleistet werden; in diesem Fall kann nach dem Wortlaut nicht entschieden werden, ob die Festsetzung Nachbarschutz entfalten soll oder nicht, maßgeblich ist damit der Wille der Gemeinde als Normgeber: Hier war die Festsetzung aufgrund der Planbegründung nicht alleine städtebaulich motiviert, sondern es ging der Gemeinde darum, ausreichende Belüftung und Belichtung der Nachbargrundstücke sicherzustellen.

424

Exkurs: Das Gebot der Rücksichtnahme im Baurecht

Vgl. zum Ganzen Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 589 ff.

Bei dem Gebot der Rücksichtnahme handelt es sich um einen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz des Baurechts, mit welchem das Verhältnis eines baulichen Vorhabens zu den anderen bereits vorhandenen baulichen Vorhaben in der Umgebung beurteilt wird. Grundsätzlich handelt es sich dabei nur um ein objektiv-rechtlich zu beachtendes Gebot. Damit ist gemeint, dass es grundsätzlich keine subjektiven Rechte (also zugunsten bestimmter Personen) verleiht, sondern die Baugenehmigungsbehörde lediglich zur Ablehnung eines Bauantrags berechtigt. Das Gebot der Rücksichtnahme stellt im Baurecht kein generelles, übergreifendes Gebot dar, sondern lässt sich nur aus einzelnen Vorschriften des Baurechts ableiten, soweit es darin zum Ausdruck kommt (§§ 31 Abs. 2, 34 Abs. 1, 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB, § 15 Abs. 1 BauNVO).

Einschlägig ist es in der objektiv-rechtlichen Komponente, wenn ein Bauvorhaben im Hinblick auf seine Umgebung aus objektiver Sicht rücksichtslos erscheint. Maßgebend ist dabei das Verhältnis des baulichen Vorhabens zu seiner Umgebung: Entfaltet es eine erdrückende Wirkung? Ruft es unerträgliche bodenrechtliche Spannungen hervor?

Beispiel

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In einem unbebauten Innenbereich i.S.d. § 34 BauGB befindet sich ein landwirtschaftlicher Betrieb, der von Wohnhäusern umgeben ist. Der Landwirt plant eine erhebliche Erweiterung des Getreidesilos, die bei Realisierung aufgrund der Höhe und der Breite zur Folge hätte, dass die umliegenden Wohnhäuser deutlich verschattet würden. In diesem Fall kann die Baugenehmigungsbehörde die Realisierung der Erweiterung des Getreidesilos unter dem Gesichtspunkt des objektiv rechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ablehnen, da von diesem eine erdrückende Wirkung zu seiner Umgebung ausgehen würde. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Bauvorhaben die landesrechtlich zu beachtenden Abstandsflächen aus Art. 6 BayBO nicht beachtet. Werden diese hingegen beachtet bleibt im Regelfall kein Raum für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Dies folgt daraus, dass die landesrechtlichen Abstandsflächen gerade eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung im Verhältnis der betroffenen Grundstücke zueinander sicherstellen sollen.

Im Einzelfall kann das Gebot der Rücksichtnahme daneben nachbarschützende Wirkung entfalten, wenn durch das bauliche Vorhaben Rechte von Nachbarn in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen sind

Jäde JuS 1999, 961; R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 98. und in der Folge die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird. Letztlich sind dabei die Interessen zwischen dem Bauherrn und dem Nachbarn abzuwägen.

Expertentipp

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Diese konkrete Abwägung sollten Sie in der Klausur dabei erst auf der Ebene der Begründetheit im Rahmen der Erörterung der Rechtsverletzung des Klägers vornehmen.

425

Im Rahmen der Abwägung müssen Sie dabei folgende Grundausrichtungen beachten:

Expertentipp

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Mit diesen Grundsätzen werden Sie in der baurechtlichen Klausur jede Interessensabwägung entscheiden können!

Eine Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme ist zunächst nur demjenigen möglich, der selber schutzwürdig ist; keine Schutzwürdigkeit besteht dann, wenn man selber eine bauliche Anlage in rechtswidriger Weise nutzt (z.B. Schwarzbau).

Besonders schutzwürdig im Rahmen der Abwägung ist der Betreiber eines privilegierten Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB, da der Gesetzgeber in Planersatzfunktion die Zuordnung in den Außenbereich angeordnet hat.

Verminderte Schutzwürdigkeit besteht bei einer besonderen Vorprägung oder Vorbelastung der Umgebung; insoweit handelt es sich um den Gedanken der Situationsgebundenheit der jeweiligen baulichen Anlage, da man es in der eigenen Hand hat, wohin und in welche Umgebung man zieht (z.B. müssen im Außenbereich oder in Ortsrandlage mehr industrielle und gewerbliche Emissionen hingenommen werden als in der Innenstadt; dagegen muss in der Innenstadt grundsätzlich mehr Verkehrslärm hingenommen werden als in Ortsrandlage).

Nicht schützenswert ist im Regelfall der Erhalt einer freien Aussicht. Dieser stellt allenfalls eine „Chance“ dar, die nicht dem Schutz durch das Gebot der Rücksichtnahme unterliegt.

VG München, B.v. 3.3.2010 – M 11 SN 10.604 – juris Rn. 18. Anders kann dies nur sein, wenn ein Grundstück durch eine besondere Aussichtslage in einer Weise geprägt ist, dass es hierdurch als „situationsberechtigt“ gilt.BayVGH, B.v. 3.3.2006 – 1 CS 06.227 – juris.

Unerheblich ist dabei in allen Fällen eine persönliche Überempfindlichkeit des Betroffenen, maßgeblich ist also stets ein objektiver Maßstab.

Expertentipp

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Da diese Konstellationen so häufig in Klausuren auftauchen, sollten Sie sich noch Folgendes merken: Es besteht kein allgemeines Recht auf einen freien Ausblick; ebenso kein allgemeiner Schutz gegen Einsicht in die bauliche Anlage von anderen baulichen Anlagen aus. Einsichtsmöglichkeiten sind im bebauten innerstädtischen Bereich ortsüblich und grundsätzlich hinzunehmen. Zudem besteht kein allgemeiner Milieuschutz im Sinne der Zusammensetzung des sozialen Umfelds. Dies folgt daraus, dass das Baurecht einen städtebaulichen Ansatz verfolgt.

Art. 14 Abs. 1 GG in der Ausgestaltung der freien Nutzbarkeit des Grundeigentums kann auch in Extremfällen nicht zur Begründung von Drittschutz herangezogen werden. Mit der Rechtsprechung zum Gebot der Rücksichtnahme sind mittlerweile ausreichende und differenzierte Grundsätze vorhanden, welche es verwehren, weitere Abwehransprüche direkt aus der Verfassung herzuleiten.

R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 118 f.

(2) Begriff des Nachbarn im Baurecht

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Besondere Bedeutung kommt weiterhin der Frage zu, wer im Baurecht als Nachbar anzusehen ist, mit anderen Worten die Beurteilung der Frage, zu Gunsten welcher Personen die jeweilige Norm ihre nachbarschützende Wirkung entfaltet.

Dabei ist der baurechtliche Nachbarbegriff durch eine rechtliche und eine räumliche Komponente geprägt.

R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 97.

Definition

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Definition: Nachbarn in rechtlicher Hinsicht

Nachbarn in rechtlicher Hinsicht sind nur die Grundstückseigentümer und sonstigen dinglichen Berechtigten mit eigentumsähnlicher Position.

vgl. BVerwG JuS 1999, 508; R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 97.

Beispiel

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Eigentümer, Erbbauberechtigter, Wohnungseigentümer, Anwartschaftsberechtigter (Vormerkung zu seinen Gunsten bereits im Grundbuch eingetragen sowie Nutzen und Lasten bereits übergegangen

R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 97.).

Wer dagegen lediglich ein obligatorisches Recht an einem Grundstück von einem Eigentümer ableitet, kann nach allgemeiner Meinung gegen die Baugenehmigung öffentlich-rechtlich nicht vorgehen. Daran hat sich auch durch die Rechtsprechung des BVerfG, wonach das Besitzrecht des Mieters dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt, nichts geändert. Denn dieses Urteil betraf gerade nicht die Beziehung des Mieters zu dem Grundstück.

R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 97.

Beispiel

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Mieter, Pächter.

Definition

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Definition: Nachbarn in räumlicher Hinsicht

Nachbarn in räumlicher Hinsicht sind nur diejenigen Anwohner, die durch das Bauvorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden können. Hierbei ist auf die räumliche Reichweite des konkreten Vorhabens (insbesondere im Hinblick auf seine Auswirkungen) abzustellen.

Demnach ist der Nachbarbegriff in räumlicher Hinsicht gerade nicht generell auf die Eigentümer der unmittelbar angrenzenden Grundstücke beschränkt, sondern jeweils im Einzelfall anhand der betroffenen Vorschrift  zu ermitteln.

R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 97.

bb) Überblick über einzelne nachbarschützende Normen

427

Im Folgenden soll nach diesen abstrakten Ausführungen vorab, welche das Verständnis fördern sollten, ein Überblick über die nachbarschützenden Normen des materiellen Baurechts sowie deren jeweilige Reichweite in räumlicher Hinsicht gegeben werden. Die Verletzung von formellen Baurechtsvorschriften – also Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften – wirkt dagegen, wie oben bereits erwähnt, grundsätzlich nur relativ im Verhältnis zum Bauherren, begründet also keinesfalls eine Rechtsverletzung eines Nachbarn.

vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 341 f.

(1) Nachbarschutz im Bauplanungsrecht

428

Die Vorschriften der §§ 3 f. BauGB vermitteln keinen Nachbarschutz, weil es sich dabei ebenfalls um bloße Verfahrensvorschriften im Bebauungsplanverfahren handelt

Die Missachtung einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB vermittelt nur Nachbarschutz zugunsten der Erlass-Gemeinde, da sie nur zu dem Zweck der Sicherung von deren Bauleitplanung erlassen wurde.

§ 30 BauGB vermittelt alleine niemals nachbarschützende Wirkung. In Verbindung mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung vermittelt er jedoch Nachbarschutz zugunsten aller Eigentümer in dem jeweiligen Plangebiet; jeder Eigentümer im Plangebiet verfügt über einen so genannten Gebietserhaltungsanspruch dergestalt, dass er einfordern kann, dass im Plangebiet nur solche Vorhaben verwirklicht werden, welche im Plangebiet auch vorgesehen sind (so genannte plankonforme Vorhaben

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 99.). Eine individuelle unzumutbare Betroffenheit wird insoweit nicht verlangt.

EEin Nachbar im Baugebiet kann sich demnach auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen.

BVerwGE 82, 61, 75. Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sindBVerwGE 94, 151, 155.. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können. Daraus folgt, dass ein gebietsübergreifender Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht besteht.BVerwG NVwZ 2008, 427 f.

Beispiel

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In einem festgesetzten reinen Wohngebiet (§§ 1 Abs. 3 S. 2, 3 BauNVO) wird eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Industrieanlage erteilt. Jeder Grundstückseigentümer im Bereich des reinen Wohngebietes kann die Baugenehmigung unter Berufung auf seinen Gebietserhaltungsanspruch anfechten.

Gegen plankonforme Vorhaben kommt Drittschutz im Einzelfall über § 15 Abs. 1 BauNVO in Betracht, in welchem das Gebot der Rücksichtnahme verankert ist.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 637.

§ 30 BauGB i.V.m. Festsetzungen über Maß, Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen sind im Einzelfall nur dann drittschützend, soweit sich dies aus dem Willen des Normgebers ergibt. Danach muss sich ergeben, dass sie nicht nur städtebaulichen Belangen dienen, sondern durch sie auch private Belange geschützt werden sollen.

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 99; BVerwG U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn 14 ff. Liegen solche Hinweise in der Begründung zum Bebauungsplan nicht vor, sind Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksflächen nicht drittschützend.

Im Rahmen des § 31 Abs. 1 BauGB besteht Nachbarschutz, soweit von einer drittschützenden Festsetzung abgewichen wird; nicht dagegen bei der Abweichung von einer nicht drittschützenden Festsetzung.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 643. Bei Erteilung einer Ausnahme von einer nicht drittschützenden Vorschrift, wird der Drittschutz ausschließlich über das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelfall geregelt.

§ 31 Abs. 2 BauGB vermittelt grundsätzlich Nachbarschutz, soweit von einer drittschützenden Festsetzung abgewichen wird.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 644. Ansonsten wird Drittschutz nur über eine eventuelle Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gewährt.

Sofern im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung befreit wird, sind nach dem Wortlaut auch die nachbarlichen Interessen zu würdigen; insoweit handelt es sich um eine Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme, weshalb im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt werden kann; da die Behörde allerdings nur zur Würdigung der nachbarlichen Belange verpflichtet ist, kann eine drittschützende Wirkung insoweit nur angenommen werden, wenn die Behörde überhaupt gar keine Würdigung nachbarlicher Interessen vorgenommen hat, auf die Frage der Belange der Nachbarn also in keiner Weise eingegangen ist bzw. das Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 648.

§ 34 Abs. 1 BauGB vermittelt im Einzelfall Nachbarschutz über das Gebot der Rücksichtnahme, das im Tatbestandsmerkmal „Einfügen“ verankert ist.

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 100.

§ 34 Abs. 2 BauGB vermittelt in selber Weise wie § 30 BauGB i.V.m. Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung Nachbarschutz, gewährt also einen so genannten Gebietserhaltungsanspruch. Bei gebietskonformen Vorhaben kommt Nachbarschutz im Einzelfall über § 15 Abs. 1 BauNVO in Betracht, in welchem das Gebot der Rücksichtnahme verankert t ist.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 650.

429

Die Anforderungen nach § 35 Abs. 3 BauGB entfalten grundsätzlich keine drittschützende Wirkung, da es sich nur um öffentliche Belange handelt. In § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB (für die Emissionen i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG) ist allerdings das Gebot der Rücksichtnahme verankert, weshalb insoweit im Einzelfall Nachbarschutz in Betracht kommt (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 1 BImSchG im Einzelfall über das Gebot der Rücksichtnahme als ungeschriebener öffentlicher Belang); beispielsweise kann sich der Inhaber einer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB mit einem Abwehranspruch gegen eine heranrückende Wohnbebauung wehren, wenn die Wohnbebauung zur Folge hätte, dass er sicherheitsrechtliche Maßnahmen zu erwarten hätte.

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 101.

Beispiel

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Der Schweinemäster S betreibt seine Mästerei im Außenbereich. Gegen eine heranrückende Wohnbebauung hat er als Inhaber einer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB einen Abwehranspruch, da er damit rechnen müsste, aufgrund der erheblichen Geruchsbelastung (für das Überschreiten der zulässigen Grenze ist § 3 Abs. 1 BImSchG maßgeblich) sicherheitsrechtliche Auflagen (beispielsweise nach BImSchG) zu erhalten.

§ 36 BauGB vermittelt Nachbarschutz nur zugunsten der Gemeinde, welcher die Planungshoheit für das jeweilige Gebiet zusteht, aber insbesondere nicht für sonstige Grundstückseigentümer im Plangebiet.

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern S. Rn. 204.

Das Erfordernis der gesicherten Erschließung ist generell nicht nachbarschützend; denn die Einhaltung der damit aufgestellten Anforderungen liegt ausschließlich im öffentlichen Interesse.

(2) Drittschutz im Bauordnungsrecht und sonstigem Recht

430

Art. 6 BayBO vermittelt Nachbarschutz

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 102. zugunsten der unmittelbar anliegenden Nachbargrundstücke, da die Vorschriften über die Abstandsflächen (auch) für eine ausreichende Belüftung, Besonnung und Belichtung der unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstücke sorgen sollen.

Die Vorschriften über die Standsicherheit nach Art. 10 BayBO und den Brandschutz nach Art. 12 BayBO

vgl. R.P. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 42 Rn. 102. vermitteln nachbarschützende Wirkung. In räumlicher Hinsicht sind insoweit im Einzelfall die denkbaren Auswirkungen maßgeblich: Wie weit reicht eine Gefährdung in räumlicher Hinsicht bei fehlender Standsicherheit (also einem Einsturz eines Bauvorhaben) bzw. einem Brand des Bauvorhabens?

431

Denken Sie in diesem Zusammenhang noch einmal an den Regelfall des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens mit der Beschränkung des Prüfungsmaßstabes nach Art. 59 BayBO. Sofern die Baugenehmigungsbehörde das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren und das darin enthaltene Prüfprogramm zur Anwendung bringt und der Bauherr auch keine Abweichungen beantragt hat, verbleibt es in der Klausur beim bauplanungsrechtlichen Drittschutz sowie dem Drittschutz des Abstandsflächenrechts aus Art. 6 BayBO. Der Nachbar kann sich bei seiner Klage immer nur auf solche Vorschriften berufen, welche auch Inhalt des gesetzlichen Prüfumfangs der Baugenehmigung, also Teil des Prüfungsmaßstabes nach Art. 59 f. BayBO sind. Überschreitet die Bauaufsichtsbehörde ihren in Art. 59 BayBO vorgesehenen Prüfrahmen, so ist es dem Nachbarn verwehrt, sich hierauf zu berufen. Die Bauaufsichtsbehörde ist nämlich nicht ermächtigt, die Feststellungswirkung der Baugenehmigung unter Missachtung der Beschränkung in Art. 59 BayBO zu erweitern.

zuletzt BayVGH, B.v. 23.4.2014, 9 CS 14.222 – juris; BayVGH, B.v. 17.3.2014, 15 CS 13.2648 – juris. Die einzige, der Bauaufsichtsbehörde eröffnete zusätzliche Möglichkeit schafft Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO. Damit wird der Bauaufsichtsbehörde aber lediglich ermöglicht, den Bauantrag aus Normen außerhalb des gesetzlich festgelegten Prüfprogrammes abzulehnen. Eine Möglichkeit der Genehmigung unter Überschreitung des Prüfprogrammes kennt die BayBO hingegen nicht.

Hinweis

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Bei der Verletzung sonstiger drittschützender Vorschriften außerhalb des gesetzlich festgelegten Prüfprogrammes muss der Nachbar dann in diesem Fällen einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stellen bzw. bauaufsichtliches Einschreiten rechtlich erzwingen (dazu später mehr).

b) Kein Verlust der Klagebefugnis durch Zustimmung

432

Soweit der Nachbar den vom Bauherrn vorgelegtem Lageplan und den Bauzeichnungen schriftlich zugestimmt hat, verliert der Nachbar seine Klagebefugnis, weil diese den Verzicht auf materiell-rechtliche subjektiv öffentliche Rechte oder öffentlich geschützte Interessen des Nachbarn enthält und damit durch Erteilung der Baugenehmigung keine Rechtsverletzung mehr vorliegen kann. Wie oben ausgeführt,

vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 340. gilt die Zustimmung aber nur zu dem baulichen Vorhaben entsprechend den vorgelegten Unterlagen.

Hinweis

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Bei mehreren dinglichen Berechtigten (Miteigentümern) entfaltet die Unterschrift zustimmende Wirkung nur für die Person, welche auch unterschreibt.

433

Widerruf der Zustimmung. Sofern der Nachbar die vorgelegten Unterlagen zunächst unterschrieben hat, sich dann aber doch gegen das bauliche Vorhaben wenden möchte, stellt sich das Problem des Widerrufs der Zustimmung. Insoweit besteht Einigkeit, dass ein Widerruf der Zustimmung gegenüber der Baugenehmigungsbehörde grundsätzlich möglich ist. Strittig ist dagegen, bis zu welchem Zeitpunkt ein solcher Widerruf vorgenommen werden kann. Nach der Ansicht des BayVGH

BayVGH, B. v. 3.11.2005 – 2 BV 04.1756 – juris. gelten § 130 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BGB analog; damit kann ein Widerruf nur bis zum Zeitpunkt des Eingangs der Zustimmung bei der Baugenehmigungsbehörde vorgenommen werden. Für den Zeitraum danach bleibt nur eine Anfechtung analog den §§ 119 ff. BGB möglich, sofern ein entsprechender Anfechtungsgrund gegeben ist.

Nach anderer Ansicht ist der Widerruf dagegen bis zur Erteilung der Baugenehmigung möglich; argumentiert wird insoweit, dass erst mit der Erteilung der Baugenehmigung ein relevanter Vertrauenstatbestand für den Bauherrn bestehe (entsprechend dem Rechtsgedanken des § 183 BGB).

Vorzugswürdig ist die Ansicht des BayVGH. Bei der Zustimmung handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung im Baugenehmigungsverfahren, welche entsprechend § 130 BGB bis zum Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde frei widerrufbar ist. Der Verweis auf den Rechtsgedanken des § 183 BGB ist dagegen nicht sachgerecht, weil insoweit keine vergleichbare Situation vorliegt; denn die wirksame Erteilung der Baugenehmigung hängt nicht von der Zustimmung des Nachbarn ab, sondern nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BayBO alleine von der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

3. Erforderlichkeit eines ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführten Vorverfahrens

434

Ein Vorverfahren ist nach § 68 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1, 2 AGVwGO unstatthaft.

4. Klagefrist

435

Nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Baugenehmigung zu erheben. Beachten Sie insoweit die Zustellpflichten nach Art. 66 Abs. 1 S. 4 BayBO und nach Art. 68 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 BayBO, sofern die nicht zustimmende Gemeinde gegen eine Baugenehmigung vorgeht.

Hinweis

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Bei mehreren dinglichen Berechtigten (Miteigentümern) muss die Baugenehmigung jedem einzeln zugestellt werden. Insbesondere kann es zur Konstellation kommen, dass an einen Miteigentümer nicht zugestellt werden muss, da dieser zugestimmt hat; an einen anderen dagegen schon, da dieser nicht zugestimmt hat. Bei Ehegatten als Miteigentümer gilt auch die Erleichterung des Art. 8a BayVwZVG nicht; vielmehr ist jedem einzeln eine Baugenehmigung zuzustellen.

Sofern die Baugenehmigung nicht zugestellt wird, läuft demnach grundsätzlich keine Klagefrist. Allgemein anerkannt ist aber, dass die Jahresfrist analog § 58 Abs. 2 VwGO von dem Zeitpunkt an läuft, in dem der Nachbar sichere Kenntnis von der Baugenehmigung erlangt hat oder sie hätte erlangen müssen (grob fahrlässige Unkenntnis). Diese grob fahrlässige Unkenntnis ist dann gegeben, wenn sich das Vorliegen einer Baugenehmigung aufdrängen musste (insbesondere gegeben beim tatsächlichen Baubeginn des Bauherrn) und es auch möglich und zumutbar war, sich hierüber Gewissheit zu verschaffen.

Die Jahresfrist analog § 58 Abs. 2 VwGO stellt jedoch nur eine zeitliche Obergrenze dar; im Einzelfall kann sich diese Frist auch über die Grundsätze der Verwirkung verkürzen.vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke Verwaltungsgerichtsordnung § 74 Rn. 18 ff. Erforderlich ist hierfür ein Zeitmoment (seit der Möglichkeit der Klageerhebung ist längere Zeit verstrichen) und ein Umstandsmoment (aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls kann der Bauherr darauf vertrauen, dass der Nachbar keine Klage erheben wird; insbesondere mündliche Zusagen oder Zustimmungen zum bereits im Bau befindlichen Bauvorhaben).

5. Partei- und Prozessfähigkeit und sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

436

Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten im Hinblick auf die obige Darstellung.

vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 406.

III. Begründetheit der Klage

437

Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn sie gegen den gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO richtigen Beklagten gerichtet ist, die angegriffene Baugenehmigung rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

1. Passivlegitimation, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO

438

Richtiger Beklagter ist stets (!) der Rechtsträger der Behörde, welche die Baugenehmigung tatsächlich erlassen hat (also Freistaat Bayern oder eine Gemeinde); dies gilt unabhängig davon, ob diese auch tatsächlich zur Entscheidung zuständig war.

2. Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

439

Hinweis

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Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ist bei der Nachbarklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich. Aufgrund der in Art. 14 Abs. 1 GG verankerten Baufreiheit ist aber anerkannt, dass Änderungen zugunsten des Bauherren auch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen sind. Dies stellt auch eine sachgerechte Lösung dar; andernfalls läge ein unnötige Förmelei vor, da der Bauherr zugleich wieder eine neue Baugenehmigung beantragen könnte, bei welcher sich die Änderungen direkt zu seinen Gunsten auswirken würden (bei dem Bauherrn ungünstigen Umständen gilt dagegen der Normalfall des Entscheidungszeitpunktes der letzten behördlichen Entscheidung).

vgl. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Öffentliches Recht in Bayern Rn. 605.

a) Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

440

Die formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung erfordert die Einhaltung der Vorschriften über Zuständigkeit, Verfahren und Form.

Insbesondere bedarf die Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 3 S. 1 BayBO der Schriftform und vor ihrem Erlass muss die Beteiligung der Eigentümer der benachbarten Grundstücke nach Art. 66 BayBO durchgeführt werden.

Wie oben bereits ausgeführt,vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 341 f. führt alleine die Verletzung von Verfahrensvorschriften aber nicht zum Erfolg der Anfechtungsklage des Nachbarn; insoweit liegt keine Verletzung des Nachbarn in eigenen Rechten vor, da das Verfahren nur relativ zwischen Bauherrn und Baugenehmigungsbehörde ausgestaltet ist.

b) Materielle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

441

Die Baugenehmigung ist materiell rechtmäßig, wenn ein genehmigungspflichtiges und genehmigungsfähiges Vorhaben vorliegt. Insoweit prüfen Sie nach den oben dargestellten Maßstäben.

vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 344 ff.

3. Rechtsverletzung des Klägers

442

Durch die rechtswidrige Baugenehmigung muss der Kläger zudem in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein, damit seine Anfechtungsklage Erfolg hat. Insoweit muss die Baugenehmigung gegen eine drittschützende Vorschrift verstoßen, die zugunsten des Klägers Drittschutz entfaltet. Soweit insoweit eine detaillierte Abwägung im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme erforderlich ist, hat diese erst an dieser Stelle zu erfolgen!

Bei der Gemeinde kommt alleine die Berufung auf ihre Planungshoheit als Teil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 Abs. 2 GG bzw. Art. 11 Abs. 2 BV in Betracht, welche in den Vorschriften des § 36 BauGB, § 14 BauGB und § 2 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck kommt.

Expertentipp

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Streng genommen müssten Sie erst die gesamte Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung prüfen und danach bei der Rechtsverletzung des Klägers noch einmal alle Rechtswidrigkeitsgründe daraufhin überprüfen, ob sie auch den Kläger in eigenen Rechten verletzen (es sich also um drittschützende Normen zu seinen Gunsten handelt oder nicht). Es hat sich aber in den Klausuren eingebürgert, die Frage nach einer Verletzung des Klägers in eigenen Rechten direkt im Anschluss an die Feststellung der Unvereinbarkeit mit der jeweiligen Rechtsvorschrift zu klären.

443

Hinweis

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Nach Art. 42a Abs. 1 S. 2 BayVwVfG gelten für die fingierte Genehmigung des Art. 68 Abs. 2 BayBO auch die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten sowie die Vorschriften über das Rechtsbehelfsverfahren entsprechend. Die fingierte Genehmigung kann daher als den Bauherrn begünstigender Verwaltungsakt bestandskräftig werden. Sie kann darüber hinaus von der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 48, 49 BayVwVfG zurückgenommen werden und sie unterliegt der Dritt-Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) von Nachbarn und/oder der Gemeinde. Möchte sich ein Nachbar gegen die fingierte Genehmigung wehren, so muss er mit der (Dritt-) Anfechtungsklage vorgehen. Dabei muss er wie bei einer förmlichen Baugenehmigung die Verletzung eigener, subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen. Die Regelung des § 212a BauGB ist auch auf die fiktive Baugenehmigung anzuwenden, weil es sich auch insoweit um eine „bauaufsichtliche Zulassung“ handelt.Grothmann/Ansorge/Kranz ZfIR 2021, 405 ff. (417). Der Nachbar wird daher auch bei fiktiv genehmigten Bauvorhaben einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 80, 80a Abs. 1 VwGO suchen müssen. Eine Nachbarklage gegen eine dem Bauherrn erteilte Fiktionsbescheinigung dürfte hingegen, selbst wenn man von einem feststellenden Verwaltungsakt ausginge, unbegründet sein, da eine Verletzung in subjektiven Rechten durch die bloße Feststellung, dass die Fiktionswirkung eingetreten ist, ausgeschlossen ist. Eine Rechtsverletzung kommt hier allenfalls durch die fingierte Genehmigung selbst zustande.Grothmann/Ansorge/Kranz ZfIR 2021, 405 ff. (418).

Weigert sich hingegen die Baugenehmigungsbehörde dem Bauherrn gegenüber den Eintritt der Fiktion zu bescheinigen, so kann der Bauherr je nach rechtlicher Einstufung der Fiktionsbescheinigung gerichtlichen Rechtschutz suchen. Geht man vom Vorliegen eines Verwaltungsakts aus, so ist hier eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) gerichtet auf Erteilung der Fiktionsbescheinigung geboten. Andernfalls (kein Verwaltungsakt) verbleiben hier allgemeine Leistungsklage (vgl. § 43 VwGO) bzw. eine allgemeine Feststellungsklage als gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten, wobei die h.M. hier von einem Wahlrecht des Bauherrn ausgeht.     

 

4. Übungsfall Nr. 4

444

„Stadt gegen Freistaat Bayern“

Bernd Büser (B) plant in der kreisangehörigen Stadt Aichach im Landkreis Aichach-Friedberg ein Hotelgebäude für 1000 Gäste zu errichten. Als Standort ist ein Grundstück des B vorgesehen, das mehrere hundert Meter von der nächsten Bebauung liegt. Für dieses Grundstück existiert ein in Aufstellung befindlicher Bebauungsplan, wonach Grünflächen und eine Kleingartenanlage vorgesehen sind. Einen ordnungsgemäßen Bauantrag reicht B mit Schreiben vom 22.2.2022, eingegangen bei der Stadt Aichach am 23.2.2022, ein. In der Sitzung vom 22.3.2022 beschließt der Stadtrat der Stadt Aichach, die Erteilung des Einvernehmens nach § 36 BauGB zu verweigern. Zum einen füge sich das Hotelgebäude nicht in die umliegende Landschaft ein, die überwiegend ländlich geprägt sei; zum anderen stehe das geplante Vorhaben im Widerspruch zu dem sich in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan. Nach der Weitergabe des Bauantrags, verbunden mit der Verweigerung der Erteilung des Einvernehmens, an das Landratsamt Aichach-Friedberg erteilte dieses am 21.4.2022 dem B die bauaufsichtliche Genehmigung entsprechend seinem Antrag vom 22.2.2022. Im Bescheid wird die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens vorgenommen. Zuvor wurde die Stadt aufgefordert, die Erteilung des Einvernehmens noch einmal zu überdenken, da es ansonsten ersetzt werde. Das Landratsamt Aichach-Friedberg vertrat gegenüber der Stadt den Standpunkt, das Vorhaben entspreche öffentlichen Interessen, da hiermit eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen geschaffen werde.

Die Stadt Aichach sieht ihre Planung gefährdet, weshalb der Stadtrat in seiner Sitzung vom 26.4.2022 beschließt, gegen die Zulassung des Vorhabens gerichtliche Schritte einzuleiten. Am 27.4.2022 erhebt daraufhin die Stadt Aichach, vertreten durch den ersten Bürgermeister, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, mit dem Antrag, die dem B erteilte Baugenehmigung vom 21.4.2022 aufzuheben. Die Klage müsse schon deshalb Erfolg haben, weil das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nach Art. 28 Abs. 2 GG verletzt und der in Aufstellung befindliche Bebauungsplan einfach ignoriert wurde.

 

Bearbeitervermerk: Prüfen Sie in einem Gutachten die Erfolgsaussichten der Klage der Stadt Aichach.

445

Lösung

Die Klage der Stadt Aichach (A) hat Aussicht auf Erfolg, wenn das angerufene Gericht entscheidungskompetent ist sowie die Klage zulässig und begründet ist.

A. Entscheidungskompetenz des Gerichts

Das angerufene Verwaltungsgericht Augsburg müsste zunächst entscheidungskompetent sein.

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung kommt nur die allgemeine Rechtswegeröffnung nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO in Betracht. Vorliegend handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, da es sich bei den streitentscheidenden Normen des BauGB und der BayBO ausschließlich um öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Sonderrechtstheorie handelt. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit liegt eine Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art vor; die Berufung der A auf ihr grundgesetzlich garantiertes Selbstverwaltungsrecht ist insofern nicht ausreichend.

Die Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg ergibt sich aus §§ 45, 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 6 AGVwGO.

B. Zulässigkeit der Klage

Weiterhin müsste die Klage zulässig sein; dies ist der Fall, wenn alle erforderlichen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind.

I. Statthaftigkeit

Die statthafte Klageart richtet sich gemäß §§ 86, 88 VwGO nach dem klägerischen Begehren; die A wendet sich gegen die an B erteilte Baugenehmigung und damit einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG; statthaft ist damit eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.

II. Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO

A müsste durch die Baugenehmigung möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sein. Da sie aber nicht Regelungsadressat der Baugenehmigung ist, kann nicht mit der Stellung als Adressat einer belastenden Regelung argumentiert werden. Daran würde auch eine eventuelle Zustellung nach Art. 68 Abs. 3 S. 4 BayBO nichts ändern, da die A hiermit nur zum Zustellungsadressaten, aber nicht zum Regelungsadressaten würde.

Erforderlich ist deshalb, dass A die mögliche Verletzung einer drittschützenden Norm durch die Baugenehmigung geltend machen kann. Da A ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt hat, das Landratsamt Aichach-Friedberg aber dennoch die Baugenehmigung an B erteilt hat, ist § 36 BauGB möglicherweise verletzt. Dabei handelt es sich auch um eine Norm, die (nur) Drittschutz zugunsten der Gemeinde/Stadt entfaltet, da es sich um den Ausfluss des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 28 Abs. 2 GG bzw. Art. 11 Abs. 2 BV im Baugenehmigungsverfahren handelt.

III. Ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführtes Vorverfahren

Ein Vorverfahren ist nach § 68 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1, 2 AGVwGO unstatthaft.

IV. Klagefrist

Nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Baugenehmigung zu erheben. Nach Art. 68 Abs. 3 S. 4 BayBO ist die Baugenehmigung der Gemeinde/Stadt zuzustellen, wenn diese dem Vorhaben nicht zugestimmt hat. Da vorliegend keine Zustellung an die Stadt A ersichtlich ist, läuft die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO ab Erteilung der Baugenehmigung an B. Diese wurde durch Klagerhebung am 27.4.2022 offensichtlich gewahrt.

V. Partei- und Prozessfähigkeit und sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die A ist als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO parteifähig; sie ist selber nicht prozessfähig und wird daher im Prozess durch den ersten Bürgermeister nach § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GO vertreten.

Der Freistaat Bayern ist als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO parteifähig; er ist selber nicht prozessfähig und wird daher gemäß § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 LABV durch das Landratsamt Aichach-Friedberg als Ausgangsbehörde vertreten.

C. Beiladung, § 65 Abs. 2 VwGO

Im gerichtlichen Verfahren ist der B als Inhaber der Baugenehmigung notwendig beizuladen, § 65 Abs. 2 VwGO.

D. Begründetheit der Klage

Die Klage der Stadt A ist begründet, wenn sie gegen den gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO richtigen Beklagten gerichtet ist, die B erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist und A in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

I. Passivlegitimation

Richtiger Beklagter nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist der Freistaat Bayern als Rechtsträger des Landratsamts Aichach-Friedberg, Art. 53 Abs. 1 S. 1 BayBO.

II. Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

Die dem B erteilte Baugenehmigung müsste weiterhin rechtswidrig sein.

1. Formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

Die formelle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung erfordert die Einhaltung der Vorschriften über Zuständigkeit, Verfahren und Form.

Sachlich zuständig war nach Art. 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 BayBO i.V.m. Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO das Landratsamt; die örtliche Zuständigkeit des Landratsamts Aichach-Friedberg ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG.

Hinsichtlich der Verfahrens- und Formvorschriften ergeben sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte für eine Verletzung.

2. Materielle Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung

Die Baugenehmigung ist materiell rechtmäßig, wenn ein genehmigungspflichtiges und genehmigungsfähiges Vorhaben vorliegt.

a) Genehmigungspflichtiges Vorhaben

Die von B geplante Errichtung des Hotelgebäudes müsste zunächst ein genehmigungspflichtiges Vorhaben darstellen. Der Anwendungsbereich der BayBO ist nach Art. 1 Abs. 1 S 1. Art. 2 Abs. 1 S. 1 BayBO eröffnet, da es sich bei dem Hotelgebäude um ein mit dem Erdboden fest verbundenes, aus Baustoffen hergestelltes Vorhaben, also ein bauliches Vorhaben handelt. B plant die Errichtung einer baulichen Anlage i.S.d. Art. 55 Abs. 1 BayBO; eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO ist nicht ersichtlich. Mangels eines bereits in Kraft getretenen Bebauungsplans kommt auch eine Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 BayBO nicht in Betracht.

b) Genehmigungsfähiges Vorhaben

Weiterhin müsste das Vorhaben des B genehmigungsfähig sein.

aa) Festlegung des Prüfungsmaßstabs

Bei einer Hotelanlage für 1000 Gäste handelt es sich um eine Beherbergungsstätte mit mehr als zwölf Betten und damit um einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO. Demgemäß findet das Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO Anwendung, bei dem keine Beschränkung des Prüfungsmaßstabs stattfindet.

bb) Vereinbarkeit mit den Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB

Nach Art. 60 S. 1 Nr. 1 BayBO prüft die Baugenehmigungsbehörde zunächst die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den §§ 29 ff. BauGB.

(1) Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 BauGB eröffnet/kein Vorrang des Fachplanungsrechts nach § 38 BauGB

Die Voraussetzungen nach § 29 Abs. 1 BauGB sind vorliegend erfüllt. Bei dem Hotelgebäude handelt es sich um die Errichtung einer baulichen Anlage; auch die für die Bestimmung einer baulichen Anlage erforderliche bodenrechtliche Relevanz ist gegeben. Dies ergibt sich vorliegend bereits schon aufgrund der Einstufung als Sonderbau i.S.d. BayBO; ein derart umfangreiches Vorhaben ist stets geeignet, bodenrechtlich relevante Spannungen hervorzurufen.

Für eine Überörtlichkeit des Vorhabens und damit einen Vorrang des Fachplanungsrechts nach § 38 BauGB ist nichts ersichtlich.

(2) Festlegung des planungsrechtlichen Bereichs

Ein Bebauungsplan existiert für das betroffene Gebiet nach dem Sachverhalt noch nicht; ein solcher befindet sich lediglich in Aufstellung. Damit handelt es sich nicht um einen Planbereich nach § 30 Abs. 1 BauGB. Da sich das Grundstück nach dem Sachverhalt mehrere hundert Meter von der nächsten Bebauung entfernt befindet, ist auch nicht von einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil i.S.d. § 34 BauGB auszugehen. Damit verbleibt eine Lage im Außenbereich nach § 35 BauGB.

(3) Vereinbarkeit des Vorhabens mit § 35 BauGB

Demnach müsste das Vorhaben mit § 35 BauGB vereinbar sein. Dazu muss zunächst geklärt werden, ob es sich um ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 oder um ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB handelt. Mangels Einschlägigkeit des § 35 Abs. 1 BauGB handelt es sich um ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB, durch das öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden dürfen. Aufgrund der laut Sachverhalt gegebenen ländlichen Prägung kommt vorliegend eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB in Betracht. Jedenfalls würde die Errichtung eines Hotelgebäudes im Außenbereich die Entstehung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB befürchten lassen.

Weiterhin könnte dem Vorhaben der ungeschriebene öffentliche Belang der hinreichend konkretisierten Planungsabsicht der Stadt A entgegenstehen. Sofern eine hinreichend konkretisierte Planung für einen bestimmten Bereich vorliegt, kann diese als ungeschriebener öffentlicher Belang solchen Vorhaben entgegengesetzt werden, welche eine Verwirklichung der konkretisierten Planung verhindern würden. Dies ist vorliegend auch der Fall, da ein Hotelgebäude für 1000 Gäste aufgrund seiner Größe und seiner Emissionen die spätere Errichtung von Grünanlagen- und Kleingartenanlagen verhindern würde.

Nach alledem beeinträchtigt das Vorhaben öffentliche Belange und ist als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig. An dieser Beurteilung ändert auch die Ansicht des Landratsamts nichts, wonach das Vorhaben aufgrund der damit verbundenen Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Interesse stehe. Nach der grundsätzlichen Wertung des § 35 BauGB soll der Außenbereich von Bebauung freigehalten werden und der Allgemeinheit als Erholungsort zur Verfügung stehen; soweit ein sonstiges Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigt, ergibt sich nach der gesetzlichen Wertung dessen Unzulässigkeit.

(4) Zulässigkeit des Vorhabens nach § 33 BauGB

Das Vorhaben könnte letztlich nach § 33 BauGB zulässig sein. Bei § 33 BauGB handelt es sich um einen subsidiären Zulassungstatbestand, der erst geprüft werden darf, wenn das Vorhaben mit den §§ 30, 34, 35 BauGB nicht im Einklang steht. § 33 BauGB erklärt Vorhaben ausnahmsweise im Hinblick auf einen zukünftigen Bebauungsplan, der sich bereits in Aufstellung befindet, für zulässig. Vorliegend kann dem geplanten Hotelgebäude aber bereits keine so genannte materielle Planreife i.S.d. § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB bescheinigt werden; eine Übereinstimmung mit den künftigen Festsetzungen ist nicht gegeben, da nach dem Sachverhalt Grün- und Kleingartenanlagen geplant sind.

(5) Verstoß des Vorhabens gegen § 36 BauGB

Letztlich verstößt das Vorhaben auch gegen die Regelung des § 36 BauGB, da die Stadt ihr städtebaulich notwendiges Einvernehmen nicht erteilt hat. Bei dem Einvernehmen der Gemeinde/Stadt handelt es sich um eine materielle Genehmigungsvoraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung. Da sich das Vorhaben als bauplanungsrechtlich unzulässig darstellt, durfte das Landratsamt Aichach-Friedberg das fehlende Einvernehmen durch die Erteilung der Baugenehmigung auch nicht gemäß § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB i.V.m. Art. 67 BayBO ersetzen; eine Ersetzungsbefugnis besteht lediglich für ein zu Unrecht versagtes Einvernehmen.

3. Zwischenergebnis

Somit ist das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig.

III. Rechtsverletzung der A

Da das Bauvorhaben genehmigt wurde, obwohl die A aufgrund der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit zu Recht ihr Einvernehmen nach § 36 BauGB verweigert hatte, verletzt die Baugenehmigung das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nach Art. 28 Abs. 2 GG bzw. Art. 11 Abs. 2 BV, dessen Ausfluss das Erfordernis des Einvernehmens darstellt.

IV. Vereinbarkeit mit Vorschriften des Bauordnungsrecht und sonstigem Recht

Für eine Prüfung der Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Bauordnungsrechts nach Art. 60 S. 1 Nr. 2 BayBO und anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen nach Art. 60 S. 1 Nr. 3 BayBO enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

Insoweit kommt es daher auch auf eine eventuelle zusätzliche Rechtsverletzung der A nicht (mehr) an.

V. Ergebnis

Die Klage der A ist auch begründet und hat demnach Aussicht auf Erfolg.

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